Erbscheinsantrag als konkludente Annahme der Erbschaft?
Kann durch die Beantragung des Erbscheins das Recht zur Ausschlagung verwirkt werden?
Wer die Erbschaft bereits angenommen hat, kann sie nicht mehr ausschlagen. Dieser Grundsatz gilt sowohl im deutschen (§ 1943 BGB) als auch im türkischen Erbrecht (TMK m. 610). Die Annahme kann ausdrücklich oder konkludent bzw. durch schlüssiges Verhalten erfolgen. So kann eine Handlung bzw. Verhalten des Erben - auch wenn es sich hierbei nichts denkt und keinen Annahmewillen hat - rechtlich als Annahme der Erbschaft interpretiert werden, wodurch er das Recht zur Ausschlagung des verschuldeten Nachlasses verliert. In der deutschen Rechtsprechung wird die Stellung eines Erbscheinantrags durch den Erben als Annahme der Erbschaft angesehen (Palandt/Weidlich, § 1943, Rn. 2).
Der Erbscheinantrag führt nicht zwangsläufig zur Annahme der Erbschaft
Der türkische Kassationshof hat bereits im Jahre 1976 entschieden, dass die Stellung eines Erbscheins nicht als Annahme der Erbschaft zu qualifizieren ist (Yargıtay 2. Hukuk Dairesi E. 1976/3899 K. 1976/4138 vom 13.05.1976). Als Begründung führt das Gericht hierzu aus, dass die Beweggründe für die Antragstellung vielfältig sein können und die Erbscheinantragstellung nicht zwangsläufig zur Erlangung oder Teilung der Erbschaft erfolgen muss. Die Stellung des Erbscheinantrags kann auch zur Geltendmachung von anderweitigen - außererbrechtlichen bzw. mittelbaren - Ansprüche, wie z.B. Weisen-, Witwenrente oder immateriellen Schadenersatzansprüchen erfolgen. Hieraus folgt u.a., dass der Verlust der Erbenstellung bzw. Ausschluss von der Erbfolge (z.B. aufgrund der Ausschlagung der Erbschaft, der Erbverzicht oder Enterbung, Erbunwürdigkeit etc.) dem Antragsbefugnis nicht entgegenstehen.
Der Vergleich zwischen der deutschen und der türkischen Judikatur zeigt, dass die Auswirkungen der Beantragung eines Erbscheins unterschiedlich beurteilt werden. Während nach der deutschen Rechtsprechung der Erbscheinantrag zur Annahme der Erbschaft und somit zum Verlust des Ausschlagungsrechts führt (möglich wäre ggfls. die Anfechtung der Annahme wegen Irrtums), wird in der türkischen Rechtsprechung die Beantragung des Erbscheins nicht als eine (schlüssige) Annahme der Erbschaft angesehen, so dass der Antragsteller - trotz eines Erbscheinantrags und der Ausstellung eines Erbscheins - die Erbschaft weiterhin innerhalb der hierfür vorgesehenen Ausschlagungsfrist (grundsätzlich drei Monate ab Kenntnis vom Erbfall bzw. amtlicher Mitteilung der Testamentseröffnung, TMK m. 606) ausschlagen kann. Allerdings sollte der Erben jegliche (weitere) Handlung unterlassen, die als Annahme der Erbschaft i.S.v. TMK 610 Abs. 2 qualifiziert werden können. Der Erbe kann sein Ausschlagungsrecht insbesondere dann verwirken, wenn er sich vor Ablauf der Frist in die Angelegenheiten der Erbschaft eingemischt oder Handlungen vornimmt, die nicht durch die blosse Verwaltung der Erbschaft und durch den Fortgang der Geschäfte des Erblassers gefordert sind, oder er sich Erbschaftssachen aneignet oder verheimlicht.